Master-Abschluss

Am 2. Juli 2018 spiele ich mein Master-Abschlusskonzert im großen Saal der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Ich freue mich über viele bekannte Gesichter. Ich habe ein sehr delikates Programm gewählt für meinen Studienabschluss. Die zweisätzige Sonate von J. Haydn in B-Dur, HOB VI:41, lebt von ihrer Lebendigkeit. Das 1784 erschienene Werk widmete Haydn Prinzessin Marie Esterházy, welche kurz vorher den Enkel von Haydns Mäzen Prinz Nicolaus heiratete. Die fröhlich-vergnügte Sonate schrieb er gewissermaßen als Hochzeitsgeschenk, was man dem Charakter des Stückes durchaus anhört.

Im Kontrast zu Haydn wird Manfred Trojahns erst 2017 erschienenes Werk “Leise Gondeln” ertönen. Trojahn schrieb das Stück in musikalischer Erinnerung an Liszts späte Klavierwerke “la lugubre gondola I&II”. Das Stück ist Franz Liszt zum 200. Geburtstag gewidmet. Die besondere Schwierigkeit des Stückes liegt an dem meist vorherrschenden pppp, der Pianist spielt immer am absoluten Minimum des Instruments, wo überhaupt noch ein Ton erklingt. Nach dieser unendlichen Ruhe schlage ich wieder einen weiten Bogen und setze den leisen Gondeln eine spritzige, filigrane Sonate von Domenico Scarlatti gegenüber. Die Sonate in C , K159, lebt von der Spielfreude und dem überschwenglichen Charakter, den man so oft bei Scarlatti findet. Eine erfrischende Abwechslung von Haydn über Trojahn zurück zum Barock, die ich ganz gewollt so auf das Programm gesetzt habe.

Der zweite Teil des Programms ist den absoluten Juwelen Franz Schuberts gewidmet: dem 1. Zyklus seiner Impromptus. Den Übergang zur Romantik beschreite ich mit der gesanglichen und schwebenden 1. Etüde op 25 von F. Chopin. Bei der Melodieführung Chopins vergisst man, dass es sich um ein “Übungsstück” handelt. Man kann sagen, Chopin hat mit seinen zwei Etüden-Zyklen diese Gattung salonfähig gemacht.

Franz Schuberts Impromptus zählen für mich zu den schönsten und ergreifendsten Werken für Klavier solo. Aus Zeitgründen wird in meinem Masterprogramm “nur” der 1. Zyklus D899 / op. 90 erklingen. Dieser Zyklus besteht aus vier Impromptus. In diesen Charakterstücken finden wir alle Emotionen Schuberts, von tiefer Trauer über jubilierende Freude – von Resignation über aufbäumenden Trotz – von Melancholie über unbeschwerte Schlichtheit. Für mich sind diese Stücke an emotionaler Tiefe nicht zu übertreffen. Sie zeigen, wie erschütternd und zugleich wie versöhnlich Musik sein kann.

Das 1. Impromptu lebt von fatalistischen Achteltriolen, welche sich durch das gesamte Stück ziehen. Für mich ist ein sehr passendes Bild für dieses Stück die tickende Uhr – der Todesmarsch. Die Zeit läuft unablässig und unaufhaltsam. Schubert versucht, sich dagegen aufzubäumen, gibt schließlich resigniert den Kampf gegen die Zeit auf. Bedenkt man, dass Schubert diesen Zyklus ein Jahr vor seinem Tode schrieb (im Herbst 1827), zwingt dieser Hintergrund den Künstler und Interpreten zu einer ganz intimen Auseinandersetzung mit der Musik. Geradezu leichtfüßig und quirlig gibt sich das 2. Impromptu im schwungvollen Allegro. Kaskadenartig perlen die Notengirlanden wie Wasserfälle vor sich hin und kehren verspielt zurück. Der Mittelteil aufbrausend energisch arbeitet den radikalen Konkurrenzkampf zwischen der 1. und 2. Zählzeit heraus, welche um Vorherrschaft buhlen. Das 3. Impromptu wird der romantischen, lyrischen Epoche Schuberts vielleicht am ehesten gerecht. Es ist vielleicht das schönste Stück für Klavier. Es zu beschreiben, ist geradezu unmöglich. Ganz nach E.T.A Hoffmann: “Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an”. Oder in den Worten von Bedřich Smetana: “Musik sagt das Unsagbare”. Mit diesem Stück ist es Schubert wahrlich gelungen, einen Stern vom Himmel zu pflücken. Das 4. Impromptu in Allegretto lebt zwar auch wie das zweite von herabglitzernden Tonläufen, welche jedoch zuerst im Moll herabrieseln. Es hat für mich einen erschöpften Charakter mit Anklängen von schönen Erinnerungen – möglicherweise Rückblicke an frühere Zeiten.

Meine Arbeit mit diesen so wunderbaren Kleinoden der Klaviermusik hat mich tiefe Dankbarkeit und Demut gelehrt. Die Romantik Schuberts ist von tiefer Sehnsucht und auch Einsamkeit geprägt. Selbst fröhlich scheinende, virtuos gestaltete Passagen haben immer auch einen Schimmer Wehmut in sich. Doch bei aller Melancholie und bei allem Herzschmerz ist die Musik Schuberts unendlich versöhnlich und den Frieden suchend. Ein Zitat Schuberts fasst sehr treffend zusammen, was ich hier in einigen persönlichen Betrachtungen versucht habe, niederzuschreiben:

“Wer die Musik liebt, kann nie ganz unglücklich werden”.

 

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By Noah Vinzens